1. Einleitung

Die Macht des Wortes ist groß – viel größer, als es sich die meisten Menschen im Alltag klarmachen. Wörter, Begriffe, eingeschliffene Sätze – kurz: die Sprache, die wir nutzen, transportiert unterschwellig (u. U. ungewollt) ganze Erzählungen mit. Das sind äußerst wirkmächtige Geschichten – auch ‚Narrative‘a genannt. Manche sind Teil unserer Erziehung, andere Bestandteil unserer gesellschaftlichen Sozialisation. Sie schwingen in jedem Gespräch stets auf der Metaebene mit – und weil sie gleichsam automatisiert un(ter)bewusst mitlaufen, können sie auch nicht ohne Weiteres hinterfragt werden. In Familien mögen das Wertvorstellungen sein, bspw. ‚Ihr sollt es mal besser haben‘.b In unserer frühindustrialisierten Gesellschaft () sind die meisten von uns massiv durch über mehrere Generationen hinweg eingeübte Gedankenmuster geprägt, die z. B. darauf hinauslaufen, dass angeblich jede:r ‚es‘ schaffen könne, strengte sie:er sich nur richtig an.

Erläuterungen zu (a) und (b)

a Wir Autoren nutzen in dieser Handreichung einfache Anführungszeichen zur Hervorhebung der sprachlichen Metaebene von Begriffen in Abgrenzung von Zitaten, die – wie üblich – mit doppelten Anführungszeichen gekennzeichnet sind.
Fußnoten sind mit Buchstaben gekennzeichnet und sind als ‚Erläuterungen‘ – wie hier bei Fußnote a – am Ende des Absatzes ausklappbar.
Endnoten sind mit Ziffern versehen. Sie stehen – im Unterschied zur Buchausgabe – am Ende der einzelnen Kapitel, also ganz unten auf der jeweiligen Webpage. Sie verweisen i. d. R. auf das Quellenverzeichnis.

b Schon in diesem harmlosen Wunsch ist die Zerstörung der Zivilisation angelegt. Wenn alle Menschen immer mehr materielle Güter haben wollen, bedeutet das exponentielle Steigerungslogik auf einem begrenzten Planeten. 

Warum gendern?

Sprache formt das Denken, „Sprache konstruiert Realität […] [und] lässt Bilder in unseren Köpfen entstehen. Wenn Sprache nicht alle mitdenkt, [also keine genderfaire Sprache verwendet wird,] dann reproduzieren wir bestehende Ungleichheiten und Machtverhältnisse“ (Jeffries 2020, 35). Gewissermaßen ist Sprache ‚Framing‘ – sie setzt im Gespräch den Rahmen. Und: Wenn wir über einen Vorstandsvorsitzenden sprechen, entsteht tendenziell das Bild eines männlichen Vorstands, zumal die Erfahrung dies für die Vergangenheit i. d. R. bestätigt. Wenn wir die weibliche oder inklusive Form in unsere Sprache einbeziehen, rütteln wir automatisch an diesen Strukturen und lassen subtil einfließen: Alles könnte anders sein. Und es soll künftig anders sein. Weissenburger fügt dem hinzu, dass „Forscher*innen der Freien Universität Berlin festgestellt [haben], dass sich Grundschulkinder bestimmte Berufe eher dann selbst zutrauten, wenn diese gegendert vorgelesen wurden“ (Jeffries 2020, 35). Interessant ist auch folgender Hinweis der Linguistin Luise Pusch: „Deutsche Sprache ist männliche Sprache. Wenn in einem Chor von 100 Personen 99 Frauen singen und ein Mann, ist es grammatikalisch korrekt, von Sängern zu sprechen“ (sinngemäß zitiert in Gottschalk 2020, 12).

Auch die rational leicht als unmöglich zu entlarvende exponentielle Steigerungslogik (), die unsere derzeitige Ökonomie bestimmt, ist in der Denkweise vieler Bürger:innen tief verankert. So tief, dass sie ggf. bereits zwei, drei Sätze nach der von ihnen selbst getroffenen Klarstellung, dass wir in einer begrenzten Welt () leben, bereits wieder ‚entgrenzt‘ sind, in die Gedankenmuster zurückfallen und aufs Neue mit der irrationalen grenzenlosen Steigerungslogik argumentieren.

Sprache ist lebendig und jederzeit Neuerungen unterworfen. In diesen Jahren sterben die schon lange ihrer tatsächlichen Bedeutung enthobenen Begriffe und Redewendungen des Pferdefuhrwerk-Zeitalters aus, z. B. ‚Steigbügelhalter‘, ‚das Pferd von hinten aufzäumen‘ oder ‚Aussteuer‘. Sie haben ausgedient und machen Platz für neue Wörter und Begriffe, die wir in der digitalen Gesellschaft benötigen.1

Sprache kann gezielt demagogisch eingesetzt werden und ganze Diktaturen stürzen oder stützen. Neue Wortschöpfungen vermögen Diskussionen, die seit Monaten feststecken, positiv oder negativ zu beeinflussen (‚Wirtschaftsflüchtlinge‘). So spricht Jay Inslee, Gouverneur des US-Staates Washington, angesichts der verheerenden Waldbrände an der Westküste der USA im September 2020 plötzlich (anscheinend) spontan von Klimabränden (‚climate fires‘). Dadurch bringt er das bis dahin diffus-unzureichend als ‚Waldbrand‘ bezeichnete, in diesem Fall klimakrisenbedingte Phänomen mit einem neuen Begriff auf den Punkt. Und kürzt mutmaßlich künftig viele Diskussionen ab. Idealerweise hält der neue Begriff Einzug in den allgemeinen Sprachgebrauch2.

Sachverhalte oder Aspekte, die für das eigene Leben zentral sind, sind sprachlich i. d. R. detailreich ausdifferenziert und zumindest im eigenen sozialen Umfeld bekannt. Mitmenschen der Jahrgänge rund um 1970 mögen hier beispielsweise an das eigene Wissen zu Bezeichnungen für Computer-, Stereoanlagen-, Telefon-, Videorekorder- und Fernsehkabel denken.

Für neue Lebensaspekte haben wir hingegen zunächst meist nur wenige oder gar keine Wörter. So ist es auch mit der globalen Naturzerstörung () bzw. der existenziellen Menschheitskrise, die i. d. R. auf den Begriff ‚Klimakrise‘ verkürzt wird. Das ebenso dramatische sechste Massenaussterben bleibt in den allermeisten Fällen unerwähnt. In der Folge wird bei jeder einzelnen Begriffsverwendung von ‚Klimakrise‘ die ungeheure, globale Herausforderung, vor der die gesamte Menschheit steht, unterschätzt bzw. verharmlost. Allein die Tatsache, dass unsere Sprache bislang keinen gemeinsamen Überbegriff für ‚Klimakrise‘ und ‚Massenaussterben‘ kennt, sagt einiges über den Stand der Debatte aus. Außerdem versinnbildlicht es unseren unzureichenden Umgang mit der eskalierenden Krise, die – und dieses Wort wird zu Unrecht vermieden – bereits eine begonnene Katastrophe ist.

Das sechste Massenaussterben

Auch als ‚Biodiversitätsverlust‘ und ‚Artensterben‘ bezeichnet.

Erdgeschichtlich gab es bereits fünf Massenaussterben, das letzte, fünfte Massenaussterben vor rund 66 Mio. Jahren, markierte das Ende der Dinosaurier. Das „im vollen Gange“ (Carstens 2019) befindliche sechste Massenaussterben unterscheidet sich von den vorhergehenden durch die Ursache. In diesem Fall ist es der Mensch mit seinen massiven Eingriffen in seine Mitwelt, darunter „– mit abnehmender Wichtigkeit – […] [der] Verlust von Lebensraum und Landnutzungsänderungen, Jagd und Wilderei, Klimawandel, Umweltgifte und invasive Arten wie Ratten, Mücken und Schlangen“ (ebd.).

Derweil hilft die bloße Existenz von Begriffen nicht weiter, wenn sie den Kern der Sache verfehlen. Ein Beispiel: Wer vom ‚Klimaschutz‘ spricht, erzählt aus Sicht der Autoren sofort die falsche Geschichte. Das Klima braucht keinen Schutz – es sind vielmehr Menschen, die Schutz suchen und Schutz benötigen: Es sind die Verursacher:innen der globalen Krise alles Lebendigen selbst, die ihre gesamte Lebensweise umwälzen müssen, wenn sie ihre Zivilisation bewahren wollen.
Der Begriff ‚Klimaschutz‘ deutet des Weiteren unterschwellig an, dass wir – wenn wir durch Optimierung des Bestehenden gezielt ‚das Klima‘ schützen – so weiter leben könnten wie bisher. Das können wir jedoch nicht.

Das alles bedeutet: Nicht einmal denjenigen, die auf dieser Welt eigeninitiiert, bewusst und engagiert etwas verändern möchten, gelingt es, ihr Anliegen in präzise, sachliche und anschauliche Worte zu fassen. Zugleich gilt psychologisch ausgedrückt: Was man nicht verworten kann, kann man nicht beschreiben, nicht erklären – und erst recht nicht verstehen, geschweige denn begreifen (s. auch sowie ‚verworten – Verb‘).

Wir Autoren schlagen für aktiv veränderungswillige Mitbürger:innen den Begriff ‚Proaktive‘ vor ().

Tatsächlich gehen wir, die Autoren dieser Handreichung, davon aus, dass sogar Menschen, die seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis ‚multiple Krise der Mitwelt‘ () befasst sind, oftmals nicht dazu in der Lage sind, in kurze, einfache Worte zu fassen, was uns, der Menschheit, gerade passiert. Wenn die Worte fehlen, wird es schwierig, sich mitzuteilen. Noch einmal in andere Worte gefasst: Wenn keine bzw. zu wenige treffende Begriffe zur Verfügung stehen, können Sachverhalte nur schwer vermittelt, kaum rational verstanden und erst recht nicht emotional begriffen werden.

Damit wollen wir Autoren keineswegs andeuten, die bislang fehlende Akzeptanz für eine gesamtgesellschaftliche Transformation () liege nur in der Sprache begründet. Wir beobachten jedoch, dass selbst Proaktive, die ja in dieser Gesellschaft sozialisiert worden sind, sich – obwohl sie sich viel mit diesem Thema beschäftigen – gleichwohl schwertun, die eingefahrenen Gedankenmuster loszulassen, die sich eben auch in der eingeschliffenen Sprache widerspiegeln.

Hinzu kommt, dass die Herausforderungen der Gegenwart sämtliche Lebensbereiche betreffen und somit eine Komplexität aufweisen, die es unmöglich macht, alle erforderlichen Aspekte gleichzeitig im Kopf zu haben. Theresa Leisgang und Raphael Thelen, die Autor:innen des 2021 erschienenen Buches Zwei am Puls der Erde, halten dazu Folgendes fest: „Die Komplexität der Krise übersteigt unser Fassungsvermögen.“3

Umso wichtiger sind Komplexität reduzierende Abkürzungen, d. h. (zu)treffende Begriffe, die ‚Worte sparen‘, leicht verständlich sind und/oder durch Wiederholung in den allgemeinen, allgemeinverständlichen Sprachgebrauch übergehen.

Also: Derzeit verwenden Proaktive zur Umsetzung des Anliegens, die Welt zukunftsfähig () zu gestalten, vorwiegend Begriffe, die tatsächlich ‚die alte Welt‘ abbilden. Benutzen Proaktive die jahrzehntelang eingeschliffene Sprache, erzählen sie somit tendenziell auch die Geschichten (‚Narrative‘) der ‚alten Welt‘. Verwendet man die Begriffe ‚Wachstum‘ oder ‚Arbeitsplätze‘, ruft man gewissermaßen gleich die überkommenen Wertekataloge mit auf, die hinter diesen Begriffen stehen (und seit Langem fester Bestandteil unserer Sozialisation sind). Durch die Nutzung solcher Begriffe drücken wir Knöpfe, die wir gar nicht anrühren wollen. Bestimmte Begriffe funktionieren wie ‚emotionale Trigger‘, die, einmal gedrückt, vom eigentlichen Thema ablenken, Einzelfalldiskussionen hervorrufen und aus einem sachlichen Erfahrungsaustausch eine hochemotionale Diskussion machen können.

Mehr noch: Den Proaktiven ist es bislang – so sehen wir Autoren das – nicht ausreichend gelungen, die Deutungshoheit über die multiple Krise der Mitwelt zu erlangen. Proaktive befinden sich stattdessen tendenziell in der passiven Rolle der:des Erklärenden, Vorschlagenden, Rechtfertigenden. Sprache kann hier helfen.

Zusammengefasst: Nutzen wir das Vokabular der ‚alten Welt‘, erzählen wir deren Geschichten gleich mit und erschweren es uns auf diese Weise unnötig, neue Argumente und Gedanken einzubringen. Ein neues Vokabular, ein neues Begriffsfeld, eine bewusst eingesetzte Wortwahl können dabei helfen, die Debatte emotional und argumentativ zu verschlanken.c

Erläuterungen zu (c)

c Constantin Gröhn und Sarah Köhler fassen dies in Ihrem 2021 erschienenen theologischen Konzeptpapier Paradising, in dem sie ebenfalls ein neues Wording fordern, in folgende Worte: „Mit Sprache erzeugen wir Bilder. Diese Bilder zeigen nicht, wovon wir wegwollen, sondern worauf wir zulaufen und wofür wir einstehen. Sprache ist der Beginn einer neuen Kultur.“ 

Wording

Ein Wording umfasst die Worte, die verwendet werden, um etwas auszudrücken, d. h. die Art und Weise, wie etwas ausgedrückt wird. Weitere Beschreibungen des Begriffs ‚Wording‘ sind Vokabular, Begriffsfeld, Sammlung von Begriffen, bewusste Wortwahl inkl. Vermeidung nicht hilfreicher Begriffe.

Die vorliegende Sammlung von neuen bzw. zu vermeidenden Begriffen – ‚Wording‘ genannt – soll Ihnen in Form dieser Handreichung Inspirationen liefern, mit dem Ziel, dass Sie künftig besser und ablenkungsfreier als bislang in wenige, einfache, genaue, faire, gewaltfreie, klima-, generationen- und gendergerechte, präzise Worte fassen können, was ‚Sache ist‘.

Durch einen neuen, bewussteren Umgang mit dem von uns Autoren vorgeschlagenen Wording haben wir sicher noch nicht die Herausforderungen der Menschheit bewältigt. Auch ein – so oft gefordertes – neues ‚Narrativ‘ haben wir damit noch nicht erzählt. Aber wir können unser großes und so wichtiges Anliegen dadurch endlich besser verworten und freier als bisher und mit weniger Triggern behaftet Klartext reden.

Wir gehen davon aus, dass Sie, liebe Leser:innen, diese Handreichung ggf. abschnittsweise lesen und auch mal bei der Lektüre ‚springen‘, sodass zur Wahrung des Gesamtzusammenhangs eine gewisse Redundanz mit einigen Wiederholungen – auch dank nicht immer trennscharfer Kategorien – erforderlich bzw. nicht gänzlich zu vermeiden ist.

Diese Handreichung verfolgt einen pragmatischen, direkt aus dem Leben gegriffenen Ansatz, der auf unseren Kommunikationserfahrungen mit zahlreichen Mitbürger:innen, Politiker:innen und Aktivist:innen beruht.

Selbstverständlich möchten wir Autoren niemandem vorschreiben, wie sie:er sich auszudrücken hat. Unser Vorschlag: Greifen Sie sich die Begriffe und Argumentationen heraus, die Ihnen passend erscheinen. Alles andere lassen Sie einfach beiseite.


Wenn wir Autoren mit der Handreichung SPRACHE MACHT ZUKUNFT einen Beitrag zu konstruktiven Debatten rund um die Zukunft der Zivilisation leisten können oder auch nur angeregte Diskussionen zu einem neuen, zukunftsfähigen Wording/Vokabular entfachen, haben wir unser Ziel erreicht.


Auf der folgenden Webpage listen wir für Eilige die Top 15 unserer Wording-Empfehlungen. Wir Autoren regen an, diese Seite zu scannen und als Plakat auszudrucken.

Sodann skizzieren wir in Abschnitt 2 unsere Hauptaussage. Sie verkörpert das Ergebnis unserer Analyse des Zustandes der Welt. Daraus ziehen wir drei grundlegende Folgerungen. Auf dem Gedankengebäude der Hauptaussage bzw. den drei Folgerungen beruht das gesamte hier vorgeschlagene Wording.

In Abschnitt 3 stellen wir die Ausgangspunkte zur Schaffung bzw. Nutzung eines neuen, zukunftsfähigen Wordings dar. Des Weiteren geben wir Hinweise zu typischen Gesprächsfallen, die zu vermeiden sind, um Gespräche fruchtbar(er) gestalten zu können. Wir haben in diesem Sinne auch konstruktive Argumentationsvorschläge erarbeitet.

Der ‚Proaktives Wording‘ betitelte Abschnitt 4 bildet das Herzstück dieser Handreichung.

Hier gibt es vier Listen:

  • 4.1 Neues Wording: eine Sammlung von bislang weitgehend unbekannten Begriffen, die gezielt in die Debatte eingebracht werden können, weil sie z. B. neue Sachverhalte beschreiben.
  • 4.2 Weitere hilfreiche Begriffe: Hierbei handelt es sich um ein Vokabular, das i. d. R. selbsterklärend ist und daher leicht in Diskussionen eingebracht werden kann.
  • 4.3 Wording, das alte Begriffe ersetzt: ein Wording, welches konservativ besetzte Begriffe durch triggerfreied sowie die Situation aus unserer Sicht besser beschreibende Alternativen ersetzt.
  • 4.4 Zu vermeidendes Wording (Top 25): Hinweise zu ‚verbrannten Begriffen‘, die zu besetzt oder zu verwässert sind, um sie noch zu benutzen.

Abschnitt 5 ‚Proaktives Wording in der Praxis‘ enthält pragmatische Vorschläge, wie das in Abschnitt 4 erörterte Vokabular in Diskussionen und Argumentationen eingesetzt werden kann.

Abschnitt 6 ‚Fazit und Ausblick‘, ein Hinweis zu Klimaangst sowie das Quellenverzeichnis schließen diese Handreichung ab.


Vorschläge und Anregungen sind uns HIER willkommen!


Erläuterungen zu (d)

d Triggerfreie Begriffe sind ‚auslöserfrei‘, d. h., sie lösen i. d. R. keine großen Emotionen oder Erinnerungen aus. 


Endnoten:

1 Vgl. Biermann et al. 2019 | 2 Vgl. Gaul 2020. | 3 Leisgang/Thelen 2021, 305.


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